Fachkräftemangel in der Chemie

Seit Mitte 2010 wird in Deutschland verstärkt über den „Fachkräftemangel“ berichtet. Woher der Begriff ursprünglich kommt, konnte ich bisher nicht herausfinden. Was er bedeutet, ist jedoch klar. Den Untergang der deutschen Wirtschaft, falls nichts getan wird. So ist zumindest lange der Tenor in den Medien gewesen.

Gibt es einen Fachkräftemangel in der chemischen Industrie?

Das ist die zentrale Frage, die ich hier behandeln will. Ich habe ja schon mehrfach im Blog darüber berichtet, dass es hier von Seiten der Industrie solche Aussagen gibt, z.B.  sollen 2020 bis zu 15.000 Fachkräfte in der Chemieindustrie fehlen.

Um die Frage zu beleuchten, müssen wir aber zunächst klären, was Fachkräfte sind, und dann, was ein Mangel ist.

Fachkräfte müssen nicht studiert haben

Ein Problem in der Berichterstattung ist, dass Fachkräfte oft mit studierten Arbeitnehmern gleichgesetzt werden. Dabei widerspricht dem schon das Wort Facharbeiter. Fachkräftemangel kann also durchaus unterschiedlich aufgefasst werden, z.B. auch als Mangel an Facharbeitern, Laboranten etc.

Betrachtet die Arbeitslosenstatistik im Bereich der Chemie, die ich unter Arbeitslosigkeit mehr oder weniger aktuell halte. Ihr könnt sehen, dass sich seit 2012 eigentlich wenig an der Gesamtzahl der Arbeitslosen geändert hat. Die Zahl der Arbeitssuchenden ist demgegenüber deutlich gestiegen. Auch die Zahl der arbeitslosen Experten, zu denen studierte Chemiker gerechnet werden, zeigt einen leichten Anstieg.

Sind das alles falsch qualifizierte oder zu alte Chemiker?

Angeblicher Fachkräftemangel trotz steigender Absolventenzahlen

Die GDCh betrachtet jedes Jahr die Zahlen der Chemiker an den Universitäten. Seit 2010 steigen diese Zahlen kontinuierlich.

Entwicklung der Studienzahlen in der Chemie nach Jahren. Seit 2008 steigende Zahlen.
Studiengang Chemie: Studienanfänger/innen im Diplom- und Bachelor-Studiengang (Quelle: GDCh)

Auch die Zahl der promovierenden und der Absolventen steigt dementsprechend an. Am Alter der Leute am Arbeitsmarkt kann es also nicht liegen, falls ein Fachkräftemangel vorliegt.

Nachfrage nach Chemikern

Wenn das Angebot an Chemikern so hoch ist, ist eine weitere Möglichkeit für einen Mangel eine stärker gestiegene Nachfrage. Aber auch dies ist aus den Zahlen nicht ersichtlich.

In einem Kommentar von Entropie auf einen Post  wird auf eine Studie des VCI hingewiesen. Laut dieser wird die Anzahl der Stellen in der chemischen Industrie in den nächsten Jahren eher schrumpfen.

Auch die Anzahl der großen Fusionen in den letzten Jahren deutet eher darauf hin, dass die Gesamtzahl an Jobs in der Chemieindustrie rückläufig ist.

Gehaltsentwicklung

Da der Arbeitsmarkt ja wie der Name schon sagt ein Markt ist, muss ein Mangel an Angebot sich in höheren Preisen niederschlagen. Das heißt, wir  Chemiker sollten an unserem steigenden Gehalt sehen, wie knapp wir sind. Nun ist es in Deutschland eher verpönt, über sein Gehalt zu sprechen, daher sind Daten eher knapp.

Eine Orientierung bietet die Entwicklung des Tariflohns in der Chemiebranche oder die Gehaltsumfrage der GDCh.

 

5 Gedanken zu „Fachkräftemangel in der Chemie“

  1. Hallo, zu dem Thema möchte ich gern meine persönliche (daher subjektive und voreingenommene) Erfahrung beisteuern.

    Den „baldigen Fachkräftemangel in der Chemie“ beobachte ich persönlich seit Ende der neunziger Jahre. Ich habe damals nach dem Abitur beschlossen, eine Ausbildung zum Chemikanten zu machen in der Annahme, dass ich nach meiner Ausbildung als qualifizierter Facharbeiter nachgefragt wäre.
    Nach meiner Ausbildung (im Jahr 2003) hieß es in den Medien, dass die Industrie einem drohenden Fachkräftemangel entgegen sieht. Hier muss ich anfügen, dass ich wahrscheinlich in der Industrie hätte bleiben können, aber ich wollte stattdessen studieren. Von 2004 bis 2009 habe ich dann Chemie auf Diplom studiert. In dieser Zeit hieß es, die Industrie befürchtet einen drohenden Fachkräftemangel in den kommenden Jahren. Als ich 2013 mit der Promotion fertig war, warnten die Arbeitgeber vor einem Fachkräftemangel in der nahen Zukunft. 2016 kehrte ich nach meinem Posdoc-Aufenthalt nach Deutschland zurück und bewarb mich natürlich in der chemischen Industrie. Eine Stelle fand ich dort nicht, was verschiedene Ursachen haben kann. Auf jeden Fall aber beobachte ich persönlich seit inzwischen 20 Jahren, dass die Industrie vor einem baldigen Fachkräftemangel warnt. Lang kann es also nicht mehr dauern bis er da ist 🙂

    PS: Im letzten Jahr bekam ich mit, dass wohl tatsächlich Chemieunternehmen in meiner Region (Leipzig – Halle – Bitterfeld) verzweifelt Chemiker von der Uni abwerben. In meiner Bewerbungsphase 2016 habe ich persönlich davon aber nichts mitbekommen.

    Viele Grüße,
    Marco

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    • Verspätet bedanke ich mich für den Beitrag. Es ist interessant, wie lange der Fachkräftemangel schon droht :). Dass es regionale Engpässe gibt, überrascht mich ein wenig, weil Universitätsabsolventen ja eigentlich geographisch sehr flexibel sind.

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  2. Die Agentur für Arbeit gibt in ihrer Engpassanalyse einen ganz guten Hinweis, in welchen Bereichen es einen Fachkräftemangel gibt und wie es in der Chemie um den Fachkräftemangel bestellt ist:

    https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Fachkraeftebedarf-Stellen/Fachkraefte/BA-FK-Engpassanalyse-2017-06.pdf

    Siehe S. 36: nur lokaler Mangel, der schnell wieder behoben wurde, nur Mangel an Laboranten, kein Mangel an Chemikern

    Zum Thema Gehaltsentwicklung in der Chemie: Wir haben unter Chemikern derzeit ein insider-/outsider-Problem. Den „insidern“ geht es gut in Konzernen, die nach Tarif oder über Tarif zahlen. Über die „outsider“ wird zu wenig gesprochen (von Chemikern aber auch von Seiten der Verbände), bei denen sehen die Gehälter aber deutlich unangenehmer aus. Entlohnung üblicherweise deutlich unter Chemietarif, je nach Unternehmen und Tätigkeit. Die „insider“ jubeln (verständlicherweise) und der Rest kann sehen wo er bleibt. Die Schüler hören nur die insider und das Märchen vom Fachkräftemangel, bringen die Hörsäle zum Überlaufen und schauen hinterher immer öfter in die Röhre.

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    • Vielen Dank für die Ergänzung. Ich werde das bei Gelegenheit in den Post einarbeiten. Das Insider/Outsider-Problem wird sich meiner Meinung nach weiter verschärfen, weil es in immer weniger Betrieben gewerkschaftliche Organisation gibt. Da hab ich letztens einen guten Artikel drüber gelesen. Leider finde ich ihn nicht, es ging aber darum, dass durch die Jobangst immer weniger Arbeiter solidarisch sind.

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