Geschäftsmodell der deutschen Chemieindustrie

Roboter vor Chemiefabrik
Roboter vor Chemiefabrik, Quelle: Stable diffusion

Die deutsche Chemieindustrie verliert gerade ihr Geschäftsmodell. In dieser Pauschalität ist der Satz vermutlich nicht richtig, aber für die energieintensive Grundstoff und Spezialchemie stimmt das schon.
Das alte Modell beruhte seit den 1970er Jahren (Quelle) auf billiger Energie und billigen Rohstoffen (Gas) aus Russland. Mit diesen wurden höherwertige Produkte gemacht, hohe Löhne gezahlt und Wohlstand in Deutschland geschaffen.

Das war politisch gewollt und auch für die Arbeitnehmer komfortabel. Besonders Chemie- und Automobilindustrie konnten sehr hohe Löhne zahlen, ohne dass man sich überarbeiten musste, die Gewerkschaften waren auch zufrieden.

Vermutlich hat das diese Bequemlichkeit auch den Umstieg auf erneuerbare Energien um einige Jahre verzögert.

Eine neue Realität?

Seit Februar 2022 ist damit aber Schluss, das Geschäft geht nicht mehr auf. Jetzt brauchen wir schnell neue Business-Modelle, die vermutlich nicht mehr so bequem sein werden. Natürlich war es absehbar, dass Gas, Öl und Kohle mittelfristig als Roh- und Energiestoffe wegfallen. Umso erstaunlicher, dass vorher wenig Anstrengungen unternommen wurden, diese zu ersetzen.

Das ist es nämlich: Wir müssen uns wieder anstrengen, uns etwas zumuten. Wir müssen wieder effektiver werden, müssen wissen, wo wir hin wollen. Ich verweise hier gerne auf Wolf Lotter, von dem ich diesen Gedanken leihe. Das gilt übrigens für alle Hierarchieebenen, besonders aber fürs Management.

Persönlich sehe ich drei trivial klingende Hauptansatzpunkte für Verbesserungen, um die Effektivität in den Unternehmen zu steigern.
Es muss ein Fokus auf die richtigen Produkte und Dienstleistungen aus Kundensicht da sein. Diese müssen durch gute Systeme erzeugt und betrieben werden. Das System sollte dann über Methoden wie Lean oder andere verbessert werden. Dies funktioniert nur über Mitarbeiterbeteiligung.

Wie kriegt die Chemieindustrie das hin? Diese Frage muss jedes Unternehmen für sich beantworten. Generell halte ich aber eine Abkehr von der Autofixierung der deutschen und auch europäischen Industrie für notwendig. Warum nicht ein Hinwenden zur Kreislaufwirtschaft, zu erneuerbaren Energien und zur CO2-Entfernung?

Chemische Unternehmen werden zukünftig nicht an der Vermeidung von CO2, sondern an der Entfernung von CO2 gemessen werden müssen, zusätzlich werden Aspekte wie Wassermanagement und Artenschutz immer wichtiger.

Bei diesen massiven Änderungen braucht es ein exzellentes Change-Management, das die Mitarbeiter mitnimmt, sie einbezieht und motiviert und ihnen etwas zutraut. Die Mitarbeiter benötigen Gestaltungsfreiräume, diese müssen sie aber auch nutzen.

Hindernisse

Ein Problem bei diesen Anstrengungen ist der Fachkräftemangel, von ITlern über die Personen, die notwendige Dienstleistungen wie Kinderbetreuung, -erziehung und Pflege erbringen.

Aber wir sollten uns als Gesellschaft fragen, warum diese Fachkräfte fehlen. Meine Vermutung ist, dass geeigneten Personen woanders einfach mehr bezahlt wird (z.B. in der Automobilindustrie?). Ich möchte nicht polemisieren, aber sollte derjenige, der die „richtigen“ Dinge macht, also die, die Kinder erziehen oder für die Bekämpfung von Klimawandel und Artensterben nötig sind, nicht besser verdienen als der, der das nicht macht?

Warum zahlen wir Personen nicht mehr, die Wärmepumpen herstellen statt SUVs? Warum zahlen wir eigentlich so viel für SUVs, finden es aber schlimm, wenn wir viel für moderne Heizungen zahlen müssen?

Ein weiteres Argument ist, dass ja Länder wie China dann viel billiger XYZ herstellen können. Ich glaube aber, dass das Modell des Imports billiger Güter aus China bei gleichzeitigem Export von hochwertigen Maschinen/Autos ans Ende kommt. Zum einen kann China die Maschinen/Autos immer besser selbst herstellen, zum anderen sollten wir durch Treibhaus-Zolltarife sicherstellen, dass Unternehmen die Maßnahmen zur CO2-Reduktion nicht durch Abwanderung umgehen können.

Kriegen wir das hin als Gesellschaft?

2 Gedanken zu „Geschäftsmodell der deutschen Chemieindustrie“

  1. „Bei diesen massiven Änderungen braucht es ein exzellentes Change-Management, das die Mitarbeiter mitnimmt, sie einbezieht und motiviert und ihnen etwas zutraut.“

    Aus meiner bisherigen Berufserfahrung kann ich sagen: Auch und vor allem die Geschäftsführung eines Unternehmens muss bereit sein, zukunftsfähige Wege zu gehen anstatt nur Rendite und Quartalszahlen hinterherzuhecheln. Manche Firmen bekommen das hin, manche nicht. Leider hängt hier viel an Einzelpersonen. Systematisch gutes Handeln wäre mal eine Maßnahme, die leider ohne Regulierung so lange nicht Einzug halten wird, bis die Realität mit ihren Sachzwängen den Schlussstrich unter das aktuelle ausbeuterische Wirtschaftssystem zieht. Regulierung ist schließlich des Teufels, wo doch die unsichtbare Hand des Marktes alles zum Besten der Menschen regelt.

    „Kriegen wir das hin als Gesellschaft?“

    Nicht, so lange Profit über alles geht, auf Kosten von Natur, menschlicher Gesundheit, Frieden, etc.
    Gewinne werden privatisiert, Kosten sozialisiert. Umwelt- und Gesundheitsfolgekosten könnten z.B. mal in Produktionskosten eingepreist werden, um die wahren Kosten eines Produkts zu sehen. Und das dann natürlich weltweit, wie z.B. die globale Mindeststeuer. Also: Ja, machbar, aber aktuell schwer vorstellbar, dass die Transformation vom Raubtierkapitalismus zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise in effizienter und friedlicher Weise vonstatten gehen wird.

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    • Ich zwinge mich da zu etwas Optimismus, weil ich keine Alternative sehe. Aber vielleicht braucht es einen Zusammenbruch des Systems?

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