Ich überwinde mich endlich, diesen Post zu schreiben. Schon lange wollte ich über Jobs zur Digitalisierung in der Chemieindustrie schreiben, sozusagen Jobs 4.0. Meiner Meinung nach gelingt die Transformation der Chemieindustrie nämlich nur mit den richtigen Leuten an den richtigen Stellen.
Mit dem Hype um die Digitalisierung habe ich durchaus meine Probleme, aber als Werkzeug, um die Herausforderungen der Zukunft anzugehen, kann man sie schon gebrauchen. Umso besser, dass schon Chemikanten dieses Werkzeug an die Hand bekommen, oder?
Vielleicht sollten aber auch höher qualifizierte Personen Know-How in diesem Bereich aufbauen, wo wir uns doch auf die Chemie 4.0 zubewegen. Laut Deloitte heißt das, dass die „Produkte digital ergänzt“ werden, Recycling immer wichtiger wird und neue Geschäftsmodelle nötig werden.
Personal für die Jobs 4.0
Eine Schlussfolgerung ist, dass die Unternehmen Personal brauchen, die eine Schnittstelle zwischen Chemie und IT bilden können. Durch die Kenntnisse der chemischen Prozesse kann dann das Werkzeug der Digitalisierung zielgerichtet und sinnvoll angewandt werden.
Chemie und Medizin sind in der Vielzahl der Einflussfaktoren weder wie die Ingenieurswissenschaft noch wie die Softwareentwicklung.
Ich habe zwar keinen Vergleich, aber ich vermute, dass es weiterhin viel (mehr) Erfahrung und Bauchgefühl in der Chemie braucht, die sinnvoll durch Software ergänzt werden müssen.
Daher sind Ansätze zu begrüßen, die IT-Fähigkeiten im Chemiestudium aufbauen. Beispielsweise fördert der Fonds der chemischen Industrie Digitalisierungsprojekte.
Die Uni Tübingen hat z.B. 2021 3.900 Euro vom Fonds bekommen. Ist das ein Witz? Nein. Toll, dass der Fonds hier fördert, aber ich hoffe, dass es hier zusätzlich ausreichend staatliche Mittel gibt.
Größte Barriere für die Umsetzung von Digitalisierung ist laut Chemanager übrigens „Zu wenig qualifiziertes Personal“, was man durchaus zweideutig lesen kann.
Im Hinblick auf promovierte Chemiker erwarte ich allerdings, dass diese zum ausreichend qualifizierten oder einfach qualifizierbaren Personal gehören. Während des Studiums konnte man lernen, mit Daten umzugehen und ein grundlegendes Verständnis von Kausalitäten bekommt man auch.
Was können die Unternehmen tun?
Welches Personal fehlt denn? Sind IT-Fachkräfte oder die Schnittstellen-Chemiker Kandidaten für die Jobs 4.0? Und was macht man, wenn man dieses fehlende Personal nicht bekommt? Kein Problem, dann wird automatisiert. Vermutlich betrifft das aber eher nicht die promovierten Chemiker, die sollen ja kreativ an neuen Ideen arbeiten. Und für die Automatisierung brauche ich meist ja auch IT-Kräfte. Es ist schwierig.
Was können Unternehmen also tun? Erstmal die einfachen Dinge machen. Wenn zum Beispiel schon Daten gesammelt werden können, sollte man das möglichst digital tun, auch wenn man für die Daten noch keine Verwendung hat.
Zusätzlich kann sich die Personalabteilung mal umsehen, ob man schon IT-affine Mitarbeiter in anderen Abteilungen hat. Diese sollte man unbedingt einbeziehen, man muss aber auch die anderen mitnehmen und weiterbilden. Vielleicht ist diese Weiterbildung auch für die Entscheidungsträger wichtig, um die lohnenswerten Dinge vom Hype zu trennen.
Meine Empfehlung
Für Jobsuchende oder noch Studierende habe ich eine Empfehlung: Seid interessiert an den Hintergründen und Abläufen von Software, beschäftigt Euch kritisch mit den Daten, die ihr in Studium oder Promotion erzeugt (habt) und bleibt neugierig. Chemie 4.0 hat viel mit Daten als Rohstoff für die Transformation zu tun. Man muss also kein Softwareentwickler werden, aber man sollte wissen, was KI alles kann und was nicht und ein Basisverständnis von Statistik haben. Und von Chemie sollte man auch etwas Ahnung haben :).
Toller Blog-Post und auch ein wichtiger Kommentar noch von Oliver! Diese Erfahrung kann ich sehr gut teilen.
Mich würde in diesem Zusammenhang noch interessieren, ob du denn bereits Erfahrungen gemacht hast, ob für diese Schnittstellen bereits Stellen ausgeschrieben werden und wie man diese gut finden kann? Ich selbst schließe gerade meinen Dr. in Chemie ab und mache nebenbei einen Master in Informaitk, weil genau das was du hier beschreibst mein Wunsch-Arbeitsfeld wäre. Auch weil ich glaube, dass uns das in eine Nachhaltigere Zukunft führt. Leider finde ich bisher eigentlich so gut wie keine Stellen die in so eine Richtung gehen.
Hallo S., vermutlich versuchen viele Unternehmen, diese Stellen intern mit Leuten zu besetzen, die sich schon in der Prozesslandschaft des Unternehmens auskennen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass Unternehmensberatungen Personen mit breitem Horizont und Digitalisierungsverständnis wie Dich suchen.
Der offensichtliche Schritt in Richtung Digitalisierung ist, dass man Messdaten, die ohnehin digital anfallen, automatisch(!) in einer strukturierten Datenbank zusammenführt. In der Realität werden meistens händisch Excel-Tabellen nach eigenem Gusto gefüllt.
Danach kann man sich dann der KI zur Datenanalyse zuwenden. Aktuell wird das Pferd noch von hinten aufgezäumt. KI ist sexy, Datenbanken eher nicht.
Dafür braucht es Chemiker, die die Labor-Arbeitsabläufe verstehen UND wissen wie Daten aufbereitet werden müssen/können, damit sie sich mit IT-lern unterhalten können. Da gibt es große Verständigungsschwierigkeiten.