2015 hat das Weltwirtschaftsforum in einer Studie die These aufgestellt, dass durch zunehmende Automatisierung viele Stellen bedroht sind. Nach den ersten Automatisierungswellen, in denen eher einfache Arbeitsplätze verloren gingen, sollen jetzt auch komplexere Arbeiten für menschliche Arbeiter („Wissensarbeiter?“) wegfallen. Diese These wird natürlich heftig diskutiert, aber nehmen wir mal an, dass sie stimmt.
Der 4:1 Erfolg eines selbstlernenden Algorithmus gegen den weltbesten Go-Spieler zeigt ja in diese Richtung. Schon jetzt werden viele einfache Nachrichten zu Sportereignissen oder Börsenentwicklungen von Algorithmen geschrieben. Es ist eine Zukunft vorstellbar, in der das ein Teil des mittleren Managements und kompliziertere Tätigkeiten wie das Sammeln und Bewerten von Informationen oder die Suche nach Lücken in Produktportfolios durch Computerprogramme ersetzt wurde.
Ich frage mich, welche Auswirkungen diese Entwicklungen für den zukünftigen Arbeitsmarkt für Chemiker haben und wie ein Chemiestudierender davon profitieren kann. Trivial ist die Annahme, dass es nicht schadet, wenn man sich mit Computern auskennt und programmieren kann oder zumindest das Prinzip eines Computerprogramms versteht. Was würdet ihr einem zukünftigen Chemiestudenten empfehlen? Soll er theoretische Chemie studieren, oder gleich Robotik und Informatik parallel?
In welchen Gebieten man selbstlernende Algorithmen verwenden kann, ist bestimmt noch nicht absehbar. Spannend stelle ich mir die Anwendung auf pharmazeutische Probleme wie Krebsbekämpfung, Impfstoffe oder Viren vor, aber auch, um möglichst guten Ersatz für petrochemische Produkte zu finden. Im Gegensatz zu Googles Go-Programm, das im Rechner gegen sich selbst spielen und lernen konnte (siehe hierzu auch die Artikelstrecke in c’t 06/2016, S.130 ff.), muss hier aber das Lernen (noch?) in Wechselwirkung mit der langsamen Realität stattfinden, da man die Antwort z.B. der Viren auf simulierte Impfstoffe nicht in silicio simulieren kann, sondern diese synthetisieren und anwenden muss. Oder täusche ich mich da? Dann wäre der Chemiker der Laborant des Algorithmus :).
Ich bin übrigens ein Fan von Stanislaw Lem, der viele ethische Probleme der zunehmenden Technisierung der Menschheit vorweggenommen hat (und auch ein Fan von Genitiven).
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Ich denke der Trend zur Automatisierung mit den Methoden der theoretischen Chemie wird sehr langfristig zunehmen. Vergleicht man allerdings das Stadium dieser Entwicklung mit Techniken aus dem Ingenieursbereich oder der Physik, wo bespielsweise Crash Tests ganzer Autoserien mittels Simulationen digital durchgeführt werden können (https://www.dynalook.com/conferences/15th-international-ls-dyna-conference/automotive/facing-future-challenges-in-crash-simulation-engineering-2013-model-organization-quality-and-management-at-porsche), so steckt die Computerchemie meines Erachtens lediglich in den Kinderschuhen und es wird meines Erachtens noch viele Jahre brauchen um Synthesechemiker bzw. chemische Intuition in Kombination mit Screening Tests zu ersetzten. Vielleicht hängt das auch damit Zusammen, dass viele Chemiker keinen ausgeprägten Hang zur Mathematik haben bzw. Physiker und Mathematiker nur sehr wenig von Chemie verstehen (wollen?).
Nichts desto trotz gibt es interessante Ansätze der Digitalisierung wie zuletzt in diesem Artikel: https://www.nature.com/articles/s41586-018-0307-8
Am ehesten sehe Möglichkeiten für die Automatisierung bzw. Wegfall von Stellen bei repititiven Aufgaben in der Analytik gegeben. In den nächsten Jahren werden sich m.E. eher Vorteile für Chemiker ergeben, die im Stande sind diese Methoden zu nutzen und so ihre Ziele schneller zu erreichen! Eine Bedrohung des Berufs des Chemikers sehe ich kurz und mittelfristig nicht gegeben.
Vielen Dank für Deine Einschätzung und die Links!
Ich habe in der theoretischen Chemie gearbeitet und denke die Entwicklung wird definitiv in diese Richtung Computerchemie gehen. Sowohl bei der der automatisierten Auswertung von Analytik als auch bei der Simulation chemischer Reaktionen werden viele Stellen eingespart werden.
Wenn ich schon heute relativ gut die Bindung 10000 komplexer Moleküle am passenden Rezeptor am Computer prüfen kann und nicht mehr so viel im Labor testen muss kann man sehen wo die Entwicklung hingeht. Die Algorithmen werden immer weiter verfeinert und irgendwann wird auch die Anwendung häufiger werden.